VI. Die Flucht
Noch lange nach dem Aufwachen konnte sich der Schiffsjunge nicht orientieren. Er wusste nicht wo er war und was er hier wollte, nur langsam dämmerten die Erinnerungen in ihm. Allmählich erinnerte er sich— seine letzte Erinnerung reicht bis zum ersten Speerstich… hier reist der Film!
Gerad erscheint das allererste Licht am Himmel, es ist noch mehr dunkel als hell, in einer Stunde ist Sonnenaufgang— erst dann wird es hell, richtig hell und seine letzten Stunden sind gezählt.
Wo bin ich?
Seine Gedanken waren frei, aber sein geschundener Körper, der nicht! Gerissene Fesseln um seine Hände, trotz all seiner Anstrengungen, ließen sich seine Fußfesseln nicht öffnen, stattdessen riss er sich blutig die Nägel aus den Nagelbetten. Ihn quälte nur ein Gedanke, „Ich muss hier weg!“ Von den Kannibalen war derzeit keiner zu sehen, überall nur wucherndes Gestrüpp um ihn herum.
Er robbte vor, dorthin wo es heller war, in der Hoffnung zum Wasser an den Strand zu kommen oder ihn wenigstens zu sehen. Erreicht hat er allerdings nur eine stinkende Pfütze, eine Kloake randvoll menschlicher Fäkalien und lebender Larven. Es waren kleine weiße und runde, mit einem seltsam langen Schwanz ausgestattete Würmer sie schienen in der Flüssigkeit zu tanzen— selbst hier gibt es leben.
Von hier konnte er das Hochufer sehen, schnell muss es jetzt gehen, sobald es hell wird werden sie kommen und ihn holen, das war ihm klar. Robben war sehr beschwerlich aber derzeit seine einzige Möglichkeit des Vorankommens.
„Auch wenn ich ertrinke, die werden mich nicht bekommen! Nein ihr kriegt mich nicht, ich werde entkommen!“
Vom Hochufer aus sah er noch ein mal zurück, es waren keine Verfolger zu sehen, es war so still um ihn herum, nur des Meeres Brandung war zu hören und die im osten majestätisch austeigende Sonne bot einen atemberaubenden Anblick. Der dargebotene Augenblick hätte jedem Gemälde der „Romantik“ zur Ehre gereicht.
„Ein schöner Tag zum sterben“
„Ja, ich werde heute sterben, aber sicher werde ich heute nicht von euch gefressen!“
In voller Überzeugung, dass sein Ende heute kommen wird stürzte er sich über das Steilufer in des Meeres Brandung tief unter ihm.
Die Wellen verschlungen ihn sofort, er hörte nichts mehr! Noch nicht einmal die allgegenwärtige Brandung des Meeres war zu hören, er sank, er sank immer tiefer, die Wasseroberfläche wurde nur noch müde von Lichtstrahlen durchbrochen, seine Haare umspielten sein Gesicht als ob sie ihm Trost spenden wollten doch er sank immer weiter.
Er sah in diesem Augenblick vieles vor seinem geistigen Auge: „es war wohl ein kurzes Intermezzo, mein Leben hinterlässt keine Zeichen, noch nicht einmal Spuren im Sand werden zurück bleiben. Galt mein Leben denn nur um dem Bootsmann und seinem schrecklichen Mops etwas Abwechslung zu bieten? Oder damit der Kapitän jemanden zum zuhören hatte? Nein, das war wohl kein lohnendes Schicksal!“
Viele Bilder der schroffen Insel hatte er vor Augen, sie liefen Rückwärts, wechselten willkürlich die Reihenfolge, gerade so, als ob man einen Film von hinten nach vorne anschauen würde. Plötzlich, seine Lungen beinahe luftleer, bleiben seine Gedanken an einem vorüberziehendem Bild hängen. Er spaziert allein, nachts bei klarem Himmel und Mondschein am Strand entlang. Das Firmament bot ein grandioses Bild, er sah sich ganz deutlich in der Szenerie am Strand, alles wirkte echt und real, das Meer, der Mond und die unzähligen Sterne am Himmel. Sogar der Polarstern stand heute klar und deutlich am Himmel. Verzaubert machte er einen Schritt auf den Polarstern zu, nichts hielt ihn zurück, alles wirkte so leicht, ja so unendlich leicht er schwebte, wie eine Gazelle im Sprung, auf den Polarstern zu, kam ihm jedoch keinen Millimeter näher.
Sein lebloser Körper sank langsam hinab zum Meeresgrund, die letzten Luftbläschen hatten bereits seine Lungen verlassen. Er fand in seinem kurzen Leben keinerlei Beachtung und auch sein kaltes Meeresgrab wird auf alle Ewigkeit unbekannt bleiben. Niemals wird es durch Blumenzier geehrt oder gar durch das Licht einer Kerze aus dem dunkel hervorgehoben.
„Du kommst aus dem Nichts, du warst Nichts, du gingst ins Nichts, in das ewige Nichts...! Kommen wir nicht Alle aus dem Nichts, weit vor dem Urknall? Sind wir nicht ein Teil des Ewigen Nichts? Sind wir uns des eigenen Nichts nicht bewusst? Oder vielmehr dessen, das dass Ganze Nichts ist...“
In diesem Moment, wo seine Seele schon seinen Körper verlässt und sich auf den Weg zu Gott oder zum Ewigen Nichts machte, kam etwas rauschend aus der Tiefe und nahm ihn auf seinem Rücken mit an die Wasseroberfläche.
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